Geschichte der Arbeiterwohlfahrt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Geschichte der Arbeiterwohlfahrt

 

Das Deutsche Reich ist nach dem 1. Weltkrieg zerstört, politisch instabil, wirtschaftlich

und sozial ruiniert. Millionen Menschen sind in Not und hungern. Die

Kriegsversehrten, die Opfer des Krieges, die Witwen, die Waisenkinder ohne soziale

Hilfen. Eine bisher nicht gekannte Massenverelendung in Deutschland fordert die

Selbsthilfe und die praktische Solidarität vieler freiwilliger Helferinnen und Helfer

geradezu heraus. Der Gedanke liegt nahe, aus den verschiedenen Organisationen

der Arbeiterbewegung eine sozialdemokratische Wohlfahrtsorganisation zu bilden.

 

Doch es ist nicht nur die aktuelle Not der Menschen, die zur Idee einer

"Arbeiterwohlfahrt" führt. Das politische Ziel sollte sein, die unterdrückende

Armenpflege des alten Kaiserregimes abzulösen und die Idee der Selbsthilfe und

Solidarität in eine moderne Wohlfahrtspflege hinein zu tragen.

 

Arbeiterinnen und Arbeiter sollten nicht länger nur Objekt der Armenpflege sein. Die

Sozialemokratin Marie Juchacz,

 

Ø      · Frauensekretärin beim Parteivorstand der SPD,

Ø      · Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht in Deutschland,

Ø      · Mitglied der Weimarer Nationalversammlung,

Ø      · erste parlamentarische Rednerin in diesem ersten frei gewählten deutschen

Ø        Parlament,

 

rief am 13. Dezember 1919 den "Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD ins

Leben.

 

Friedrich Ebert, der erste deutsche Reichspräsident, gab dem jungen

Wohlfahrtsverband das Motto auf den Weg: "Arbeiterwohlfahrt ist die Selbsthilfe der

Arbeiterschaft".

 

So wurde neben der "bürgerlichen Wohltätigkeit" ein sozialdemokratischer

Wohlfahrtsverband aufgebaut, unter dem man allerdings damals etwas anderes

verstand als heute.

 

Die Arbeiterwohlfahrt ist ein Element der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im

Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Seit ihrer Gründung ist sie eine politische

Interessengemeinschaft, deren Mitglieder für soziale Gerechtigkeit und sozialen

Fortschritt eintreten, aber die AWO war deshalb niemals eine ausschließlich der

Arbeiterschaft dienende Gemeinschaft.

 

Die Not der 20-er Jahre – das Spiegelbild der "Golden Twenties"

 

In den Notzeiten der 20-er Jahre entstand eine Vielzahl von Diensten und

Einrichtungen der AWO: Nähstuben, Mittagstische, Werkstätten, Beratungsstellen.

Viele sozialdemokratische Frauen und Männer wurden für einen sozialen Beruf

ausgebildet.

 

Ziel der AWO war es, diese Not zu lindern, ihr vorzubeugen, Wohlfahrtsleistungen zu

verbessern und moderne sozialpädagogische Methoden anzuwenden. Doch die

Notverordnungen dieser Jahre schränkten die Leistungen der Wohlfahrtspflege immer

wieder drastisch ein. Die diskrimminierende öffentliche "Armenpflege" sollte dennoch

schrittweise durch eine moderne Fürsorgegesetzgebung überwunden werden.

Meilensteine dieses Weges waren das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 und

die Fürsorgepflichtverordnung von 1924.

 

Die AWO forderte soziale Rechtsansprüche ein. Ihre Mitglieder hatten die

verheerenden Notstände als Betroffene selbst zu bewältigen. Vorrangig galt es

deshalb, der Massenverelendung mit praktischer Selbsthilfe zu begegnen.

Seit 1925 wurden von der AWO eine eigene Lotterie veranstaltet und Arbeiter-

Wohlfahrtsmarken verkauft, um die entstandenen und entstehenden sozialen Dienste

zu finanzieren.

 

1926 wurde die AWO als Reichsspitzenverband der freien Wohlfahrtspflege

anerkannt. Ab 1928 unterhielt die AWO eine eigene Wohlfahrtsschule in Berlin.

Notverordnungen, die die wenigen sozialen Rechtsansprüche und Leistungen

einschränkten, die Weltwirtschaftskrise und die instabilen Verhältnisse in der

Weimarer Demokratie machten die soziale Hilfstätigkeit der AWO unentbehrlich.

Über 20 Millionen Menschen in Deutschland waren auf Hilfen der Wohlfahrtspflege

angewiesen. 5,7 Millionen Arbeitslose standen vor den Schaltern der Arbeitsämter. In

den AWO-Volksküchen wurden Hungernde versorgt, Lebensmittel- und

Kleidersammlungen durchgeführt.

 

1931 waren 135.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer der AWO in der

Kindererholung und im Kinderschutz, in der Altenbetreuung und Jugendhilfe, in

Notstandsküchen und Werkstätten für Behinderte und Erwerbslose sowie in

Selbsthilfenähstuben tätig.

 

Die AWO wurde zur Helferorganisation für alle sozial bedürftigen Menschen,

unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Konfession.

 

Verbot –Enteignung – Verfolgung

 

Am 30. Januar 1933 kam Adolf Hitler an die Macht. Nur wenige Wochen später wurde

die AWO von den Nationalsozialisten verboten und zwangsweise aufgelöst. Am 15.

Juli 1933 erscheint die Ausgabe der Zeitschrift "Arbeiterwohlfahrt" mit dem

Hakenkreuz. Der Beauftragte der Deutschen Arbeitsfront gibt ein Rundschreiben mit

Anweisungen für die Umorganisation der AWO heraus. Darin hieß es, dass die

Arbeiterwohlfahrt "so auszubauen ist, daß sie später als Vorbild dient für alle

Wohlfahrtseinrichtungen".

 

Doch dem Versuch, die Arbeiterwohlfahrt in die nationalsozialistische Volkswohlfahrt

zu überführen, entzogen sich allerorten die Mitglieder, Helfer und Helferinnen, die

Funktionäre der Organisation. Vermögen, Heime und Einrichtungen wurden deshalb

für die nationalsozialistische Volkswohlfahrt beschlagnahmt. Führende Frauen und

Männer der AWO wurden verfolgt. Solange es die Mittel zuließen, wurde die Hilfe für

Notleidende und Verfolgte des Naziregimes in der Illegalität fortgesetzt. Marie

Juchacz und viele andere mussten Deutschland verlassen.

Die Arbeiterwohlfahrt hatte aufgehört als Organisation zu existieren.

 

Neubeginn und Wiederaufbau

 

Mit dem Ende des Krieges 1945, dem Zusammenbruch und der Teilung

Deutschlands, begann der Wiederaufbau im von den Siegermächten besetzten

Deutschland. Unmittelbar nach Kriegsende auch der Neubeginn und Wiederaufbau

der AWO. Sie wurde 1946 in Hannover als parteipolitisch und konfessionell

unabhängige und selbständige Organisation wieder ins Leben gerufen.

 

In der damaligen "sowjetisch besetzten Ostzone" wurde die AWO nicht mehr

zugelassen. Dagegen hatte sie, aufgrund des alliierten Status von Berlin bis 1961

auch im Ostteil der Stadt eine offizielle Zulassung, durfte dort aber nicht tätig werden.

Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 hatte die AWO in Ost-Berlin keine

Zulassung mehr.

 

Verfolgung, Verbot, Krieg und Verwüstung hatten Ideen nicht zerstören können. Mutig

nahmen Ortsvereine der Arbeiterwohlfahrt in den Westzonen wieder ihre Arbeit auf.

AWO-Helferinnen und Helfer kümmerten sich um Evakuierte und Flüchtlinge,

Heimkehrer, Alte und Einsame, um junge Menschen, die Heimat und Eltern verloren

hatten.

 

Kinder- und Jugenderholungsmaßnahmen wurden wieder angeboten, nach alter

Tradition wurden Nähstuben, aber auch Einrichtungen der Hauswirtschaft und

Mütterbildung eröffnet.

 

1949 gibt es in den drei Westzonen und in Berlin bereits wieder 50.000 ehrenamtliche

Helferinnen und Helfer, gab es 300.000 Freunde und Mitglieder der AWO.

1949 kehrte auch Marie Juchacz, gekennzeichnet von den Jahren der Emigration,

aus den USA zurück. In New York hatte sie dafür gesorgt, dass die Arbeiterwohlfahrt

in die CARE-Paketaktion der Amerikaner einbezogen wurde. Sie wurde

Ehrenvorsitzende der AWO.

 

Organisatorisch ging die AWO neue Wege. Ohne die Nähe zur sozialdemokratischen

Arbeiterbewegung zu verlieren, gründete und organisierte sie sich als selbständiger

Verband, der sich 1947 auf der Reichskonferenz in Kassel neue Richtlinien gab.

1953 erklärte Lotte Lemke, damalige stellv. AWO-Vorsitzende, auf der Berliner AWOReichskonferenz:

 

"Heute ist aus der Arbeiterwohlfahrt der Weimarer Zeit eine

Wohlfahrtsorganisation geworden, deren Aktionsradius weit über den Kreis der zur

Arbeiterschaft rechnenden Bevölkerung hinausgreift".

In diesen Jahren wurden Kindergärten und Horte neu eingerichtet, Volksküchen

gaben Mahlzeiten an Kinder, Alte und Kranke aus, Kriegsgefangene und ihre

Angehörigen wurden betreut und mit Lebensmitteln versorgt, eine Schwesternschule

wurde eröffnet und eine AWO-Schwesternschaft gegründet. In Karlsruhe wurde das

"Seminar für Sozialberufe" als Ausbildungsstätte eröffnet. Die AWO wurde tätig auf

allen Feldern der sozialen Arbeit.

 

1959 hatte die AWO 300.000 Mitglieder, 5.000 Ortsvereine, 353 Heime, 250

Kindergärten, 4.000 hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und über 70.000

Helferinnen und Helfer.

 

Wiedervereinigung nach 57 Jahren

 

Am 9. November 1989 fällt die Mauer in Berlin. Am 3. Oktober 1990 ist Deutschland

wiedervereinigt. Die innenpolitisch dramatisch umkämpfte Entspannungs- und

Ostpolitik von Willy Brandt, Egon Bahr, Helmut Schmidt und Herbert Wehner, der

politische Reformwille eines Michail Gorbatschow legen den Grundstein für die neue

deutsche Geschichte nach 1945 und 1989.

 

Durch West-/Ostpartnerschaften organisiert beginnt auch die AWO in den fünf neuen

Bundesländern mit einem dynamischen Aufbauprozeß. Ein Jahr nach dem Fall der

Mauer schließen sich die Landes- und Bezirksverbände der AWO in ganz

Deutschland auf einem Bundestreffen in Berlin am 10. November 1990 zusammen.

 

Nach dem Verbot der Arbeiterwohlfahrt 1933 und der gewaltsamen Teilung

Deutschlands nach 1945 erklären die Landes- und Bezirksverbände in den neuen

Bundesländern ihre Mitgliedschaft beim Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt. Damit

findet zusammen, was vor 57 Jahren gewaltsam getrennt wurde.

Die AWO ist heute flächendeckend in allen Bundesländern tätig.

 

Erfahrung für die Zukunft

 

Mit den rasanten Veränderungen in der Berufs- und Arbeitswelt und der

fortschrittlichen Technologie im letzten Jahrhundert änderten sich auch die Aufgaben

der AWO.

 

Eine zeitgemäße und zukunftsweisende Sozialarbeit hat diesen Prozessen Rechnung

zu tragen.

 

Der soziale Rechtsstaat, wie ihn die AWO in ihren Anfängen und ihrem Werden

angestrebt hat, ist in seinen grundlegenden Elementen Wirklichkeit geworden. Die

AWO lässt nicht nach in ihren Forderungen nach Reformen und Veränderungen in

der Sozialpolitik, in der Gesundheitspolitik, in der Familienpolitik und in der

allgemeinen Fürsorge um den Menschen und seine soziale Sicherung. Stets hat sie

ihre Forderungen den Parlamenten und Regierungen zugetragen. Daraus sind

Gesetze entstanden, die Rechtsansprüche auf soziale Hilfen garantieren. Als ein

Beispiel unter vielen gilt dafür die sozialrechtliche Sicherung des Pflegefallrisikos.

Die AWO hat neue soziale Aufgaben übernommen, die im Wandel der Gesellschaft

ihren Ursprung haben. Dazu gehören die Betreuung der zahlreichen ausländischen

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit Beginn der 60-er Jahre des vergangenen

Jahrhunderts, die stationäre und ambulante Altenhilfe, die Suchtberatung und

sozialpychologische Betreuung.

 

Grundsatz der sozialen Arbeit der AWO ist auch weiterhin die Hilfe zur Selbsthilfe. In

zunehmendem Maße hat die AWO als freier Verband - gewollt und nicht gewollt -

öffentliche Aufgaben übernommen, deren Finanzierung nicht in vollem Umfang durch

öffentliche Zuwendungen gedeckt ist.

 

Die Krise der Weltwirtschaft in den 80er Jahren des letzten Milleniums und die

ökonomische und technologische Globalisierung des neuen wirft ihre Schatten auf die

Zukunft des Sozialstaats.. Viele Menschen sind ohne Arbeitsplatz. Die großen

sozialen Sicherungssysteme stoßen an ihre Grenzen., bedürfen der Reform und nicht

des rigiden Abbaus. Die soziale Bewährungsprobe stellt sich dort, wo die AWO mit

ihren Diensten und Einrichtungen direkten Kontakt mit den Menschen hat.

 

Heute ist die AWO in weit größerem Maße als früher Trägerin sozialer Aufgaben und

Dienstleistungen. In allen Bereichen legt sie Wert darauf, soziale Aufgaben der

Gegenwart mit dem Blick auf die Zukunft zu lösen - mit der Erfahrung für die Zukunft!